I. Einleitung
Alle Autofans und Leser der einschlägigen Fachliteratur haben es geahnt: Bei den Tests der Zeitschriften geht es nicht immer mit rechten Dingen zu. Die Anhänger der "Testgewinner" bezeichnen Einwände und Zweifel an den Ergebnissen oft als Markenblindheit. Doch was ist wirklich am Mythos der besonders präparierten Pressefahrzeuge dran?
II. Unvorhersehbare Überraschung?
Sport Auto 5/2012
Längst überfällig konnten sich die Redakteure der Motorpresse Stuttgart wohl nicht mehr der Thematik vollends verschließen. Im Rahmen eines Testberichts der neusten Powerlimousinen aus Garching, Stuttgart und Affalterbach stampften diese unglaublich gute Werte in den Asphalt. Man beschloss also notgedrungen die Fahrzeuge einer Leistungsmessung zu unterziehen - mit frappierendem Ergebnis. Statt rund 550PS drückten der Mercedes und der BMW weit über 600PS auf die Rolle. Ein zufälliger Einzelfall? Normale Leistungsstreuung?
Schon früher konnten Unregelmäßigkeiten an Testwagen festgestellt werden. So wurde der Kölner Auto-Zeitung ausversehen, natürlich, von Audi ein Wagen mit modifizierter Nockenwelle schon vor Jahren zur Verfügung gestellt. Die Sport Auto selbst stellte andere Bremsbelagsmischungen bei einem BMW M3 fest. Kurzum: Die Alarmsignale sollten für jeden Redakteur unübersehbar sein.
Trotzdem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, die Verantwortlichen würden das Thema nicht, mit journalistischer Sorgfalt, anpacken.
III. Ausstattungscodes Pressefahrzeuge
Dabei wäre ein Aufdecken der Schummelleien im Nachgang so einfach. Man könnte jeden Hersteller im Informationszeitalter ohne Mühe brüskieren.
Eine Möglichkeit wäre über die Datenkarte der Fahrzeuge zu gehen. So sind für jedes Fahrzeug Ausstattungscodes und oft auch Produktionscodes im Computersystem des Herstellers festgehalten. Erstaunlicherweise findet man unter anderem bei BMW und Mercedes Codes für Pressefahrzeuge. Häää? Da denkt man doch, dass die getesteten Wagen der Großserie entstammen, damit der Kunde ein einigermaßen objektives Bild erhält?
Am Beispiel von Mercedes sollen die Dimensionen, die die Manipulation der Hersteller annehmen, aufgezeigt werden. 2005 baute Mercedes einen E 280 für die Presse extra auf.
Fahrgestellnummer: WDB211254XXXXXXXX X
[Fahrgestellnummer ist dem Autor bekannt und auf Wunsch des Eigentümers des Fahrzeugs hier unkenntlich gemacht worden. Die Datenkarte kann im WIS (bei ebenfalls installiertem EPC) fahrzeugspezfisch ausgedruckt werden - JG.]
In der Ausstattungsliste findet sich "Code 911". Dieser Code wird mit "Aggregate für Sondertestfahrzeuge" erklärt. Zudem sind weitere Produktionshinweise merkwürdig. So wird das Fahrzeug mehrfach aus der normalen Produktionslinie genommen ("Ausschleusen"). Aber warum das Ganze?
Zitat aus dem Datenblatt:
--- BR211 PRESSETESTWAGEN ---
%RB
ROHBAUSEITIG IST AUF ENGE TOLERANZEN (PASSUNGEN UND SPALTMAßE) ZU ACHTEN, RB-AUDIT DURCHFÜHREN. ANSPRECHPARTNER: BE/RB2 H. SCHIEBEL T.XXXXX [Telefonnummer entfernt - JG]
%OF
LACKIERUNG SERIENMÄßIG AN DER KAROSSERIE MUSS EIN LACKAUDIT DURCHGEFÜHRT WERDEN. (STEUERCODE: N03)
%MO
DAS FZG. ERHÄLT EINEN LEISTUNGSGEPRÜFTEN %W10 MOTOR. MOTOR IST VOM WERK 10 GESONDERT GEKENNZEICHNET (PROD.NR.) ANZULIEFERN.
%MO
ZUSÄTZLICH MÜSSEN FOLGENDE TEILE VERBAUT WERDEN
VLIES AUF UNTERBODENVERKLEIDUNG VOM C219
A 219 682 01 11
ABDAEMPFUNG UNTERBAU VO IN LI
A 219 682 02 11
ABDAEMPFUNG UNTERBAU VO IN RE
A 219 682 03 11
ABDAEMPFUNG UNTERBAU VO AU LI
A 219 682 04 11
ABDAEMPFUNG UNTERBAU VO AU RE
ABDÄMPFUNG AUF HAUPTBODEN VOM C219
A 219 682 01 01
ABDAEMPFUNG HAUPTBODEN LI VO AU
A 219 682 02 01
ABDAEMPFUNG HAUPTBODEN RE VO AU
A 219 682 03 01
ABDAEMPFUNG HAUPTBODEN LI HI IN
A 219 682 04 01
ABDAEMPFUNG HAUPTBODEN RE HI IN
A 219 682 05 01
ABDAEMPFUNG HAUPTBODEN LI HI AU
A 219 682 06 01
ABDAEMPFUNG HAUPTBODEN HI RE
ÄBDÄMPFUNGEN
A 211 689 01 98
ABDICHTUNG SEITLICH
A 211 689 02 98
ABDICHTUNG MI
A 211 682 41 01
ABDAEMPFUNG GETRIEBETUNNEL LI
A 211 682 42 01
ABDAEMPFUNG GETRIEBETUNNEL RE
A 211 682 43 01
ABDAEMPFUNG GETRIEBETUNNEL
A 211 682 10 04
ABDAEMPFUNG / UNTER QUERTRÄGER
A 211 682 44 28
ABDAEMPFUNG STIRNWAND RE UT
A 211 682 43 28
ABDAEMPFUNG STIRNWAND MI
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Auf gut Deutsch: Der Wagen bekommt einen extra bereitgestellten Motor, zusätzliche Dämmung und wird auf gute Lackierung sowie Spaltmaße kontrolliert. Ahja. Also ein stärkerer, besser verarbeiteter und leiserer Testwagen?
Nebenbemerkung: Bei dem Wagen handelt es sich übrigens um die günstigste Ausstattungslinie (Classic), die dann mit allem was die Ausstattungsliste an Sonderausstattungen hergab aufgerüstet wurde. Damit schneidet man im Kapitel "Kosten" der Tests auch noch besser ab, ist der Basispreis doch aufgrund der "Classic"-Linie vergleichsweise günstiger.
IV. Früher war alles besser...
Springer, Jochen: Das vollkommene
Auto mit kleinen Unvollkommenheiten, Hamburg 1966
...oder auch nicht? Vor fast einem halben Jahrundert kritisierte der Journalist Springer eine extreme Abweichung zwischen Pressewagen und Endkundenfahrzeug. Damals testete er einen Mercedes 250SE. Um die Fahrwerte abzugleichen, besorgte er sich einen Endkundenwagen und musste mit einigem Erstaunen feststellen: Der Pressewagen war nicht nur viel schneller, er war auch noch sparsamer! Das ging sogar so weit, dass der Pressewagen mit Automatik - damals noch kraftraubend - spürbar schneller war als ein Fahrzeug mit Handschaltung (fliegender Kilometer in 19,2s). Die Messwerte im Detail:
Pressefahrzeug | Vorführwagen | |
0-80 km/h | 7,3s | 8,7s |
0-100 km/h | 10,9s | 13,1s |
Verbrauch (Autobahn) | 16 l/100km | 18 l/100km |
V. Unfähige Presse oder
gezielter Betrug am potentiellen Kunden?
Was hier innerhalb von zehn Minuten (!) recherchiert wurde, ist auch den Pressevertretern möglich. Wäre es nicht deren vordringliche Aufgabe diese auch zu tun? Oder, spekulieren wir, könnten diese sich dessen nicht sogar bewusst sein? Was aber ist denn die Folge einer Berichterstattung, die sich überhaupt nicht auf kaufbare Fahrzeuge fokussiert sondern vielmehr auf Einzelanfertigungen? Mehr noch: Es wird über handgefertigte, gesondert geprüfte Exemplare geschrieben, die zumindest leiser und schneller als ihre Großserienbrüder sind ohne dies kenntlich zu machen. Wird dadurch der potentielle Kunde nicht getäuscht? Wird dadurch nicht ein Irrtum beim Kunden erregt, der möglicherweise dazu führt, dass dieser ein Auto kauft, also über sein Vermögen verfügt? Und bekommt er dann nicht etwa ein schlechteres Produkt als getestet, erleidet als vielleicht einen Vermögensschaden? Man könnte fast meinen, dass man dann im strafrechlich relevanten Betrug wäre!
VI. Ausweg?
Die Presse ist darauf angewiesen, dass die Hersteller ihnen zumindest bei brandneuen Fahrzeugen diese zukommen lassen. Insofern hat man in dem Bereich keine Wahl, will man nicht auf die Berichterstattung verzichten. Allerdings ist es schlicht unethisch nicht auf offenkundige Manipulationen der Hersteller hinzuweisen und dies durch spätere Vergleichsmessungen und Recherchen zu belegen.
Man könnte zum Beispiel Stichprobenartig willkürliche Kundenfahrzeuge vermessen. Denkbar auch die eigene Testdatenbank zu durchforsten, um die Entwicklung der Testwerte einer Fahrzeugreihe mit dem Alter des Modells zu erforschen. Oft sind nämlich spätere Testwagen erstaunlicherweise deutlich weniger potent als frühe bei der Markteinführung!
Die Hersteller sind natürlich auch nicht dumm. Schnell wird man Prüfstanderkennungen entwickeln, damit eine Leistungsmessung keine Abweichungen nach oben mehr registrieren kann. Wahrscheinlich wird man nun auch die Spuren in den Datenblättern der Fahrzeuge verwischen - es ist wie bei Straftätern: Sobald man ihnen auf der Spur ist, ändern sie ihr Verhalten um den Nachweis zu erschweren.[JG]